Veränderung braucht Utopie (Ausgabe #5)

Wer von Utopien spricht, wird oft lächerlich gemacht. Das ist allerdings Blödsinn. Sie sind ein wichtiger Bezugspunkt für politische Praxis, den man sich nicht nehmen lassen darf.

– by Martin Bernstein

„Das ist doch realitätsfremd!“, „Du Utopist_in!“, „Du Träumer_in!“. Wer die Gesellschaft grundlegend verändern will, bekommt solche Sprüche schnell zu hören. Egal ob in der Schule, auf der Uni oder am Arbeitsplatz: Gespräche über Zukunftsvisionen sind oft frustrierend. Utopisches Denken wird entweder als unrealistisch abgeblockt oder lächerlich gemacht. Die jetzige Gesellschaft ist alternativlos, heißt es dann.

„Es ist notwendig, Utopien zu formulieren und sie auch einzufordern.“

Aber nicht nur Bekannte wollen nicht über eine ganz andere Zukunft reden: Von fast allen Seiten werden Utopien nicht ernst genommen. Nicht umsonst wird das Wort „utopisch“ oft negativ verwendet. Diese Situation macht es schwer, sich über das Thema auszutauschen. Schließlich will man ja nicht in das Eck der Realitätsverweiger_innen gestellt werden.

Alles Träumerei?

Es ist aber notwendig, Utopien zu formulieren und sie auch einzufordern. Denn eine andere Gesellschaft ist möglich. Die Welt von morgen wird von Menschen gemacht. Wir müssen uns also überlegen, wo es hingehen soll. Eine Utopie, ein Bild der besseren Zukunft, kann dabei zum Ziel unserer politischen Praxis werden. Aber die Utopie ist mehr als das: Sie ist auch ein persönlicher Antrieb. Sie ist der Grund, sich zu engagieren und weiterzumachen, wenn die Zeiten düster sind.

„Oft wird behauptet, dass utopisches Denken unrealistisch ist. Das ist es aber nicht zwangsläufig.“

Gleichzeitig zeigt die Utopie auf, was sein könnte. An ihr wird die gegenwärtige Gesellschaft gemessen. In der Formulierung des Möglichen wird der Unterschied zum Jetzt sichtbar. Es zeigt sich, dass viel Potential zur Verbesserung der Gesellschaft da ist, aber fast nichts davon umgesetzt wird. Die Utopie ist also immer die Maximalforderung. Und wer will sich schon mit weniger zufriedengeben?

Wer verweigert hier die Realität!?

Oft wird behauptet, dass utopisches Denken unrealistisch ist. Das ist es aber nicht zwangsläufig. Ganz im Gegenteil: Gerade, wenn Leute behaupten, dass Utopien realitätsfern oder träumerisch sind, zeigt sich darin ihre eigene Realitätsverweigerung. Die Gesellschaft von Grund auf verändern zu wollen, ist ein realistischer Wunsch. Ihm liegt eine einfache Einsicht zugrunde: So wie es ist, kann es nicht weitergehen. Wer sich hingegen keine Utopie mehr vorstellen will, hat sich mit der bestehenden Gesellschaft abgefunden und ihr Elend akzeptiert. Wer Utopie als etwas Lächerliches abtut, hat schon längst die Einsicht aufgegeben, dass Gesellschaft veränderbar ist.

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Straßen aus Zucker #12
Eine Ausgabe der Straßen aus Zucker zum Thema Befreiung und Utopie.