Wir sind die einzigen Fans des WKO-Videos

Die WKO gibt uns unsere Freizeit zurück. Und in diesem Artikel diskutieren wir, wieso das gar nicht so gut ist, wie es klingt. Denn der 12-Stunden-Ohrwurm lässt die Arbeit verschwinden, die trotzdem bleibt.

Erinnerst du dich, als vor über zwei Monaten die Wirtschaftskammer (WKO) den Sommerhit 2018 released hat? Wir auch nicht. Aber trotzdem ist da irgendwas hängengeblieben. Wir würden gern dieses Trauma aufarbeiten. Das Werbevideo für den 12-Stunden-Tag und die verstärkte Flexibilisierung der Arbeitszeit lößte Belustigung und Entgeisterung, aber vor allem Wut(!) aus. Es folgte ein massiver Shitstorm gegen dieses offenbar abstruse Produkt von Arbeitswahn und Verwertung, ausgehend von einer konservativen, rechtsnationalistischen Politik. Seltsamerweise war die Aufregung so schnell wieder weg, wie sie gekommen ist. Das hat uns misstrauisch gestimmt. Deshalb haben wir für euch mal einen genaueren Blick auf das Video und die Politik dahinter geworfen. Auch, wenn ihr uns es nicht glaubt – wir wollten es erst selbst nicht glauben – ist das Video tatsächlich ein genialer Geniestreich! “Man, hätte den Clip nicht besser machen können.”

Grob gesagt, geht es in dem Video um nichts anderes als den Neoliberalismus und seine Verstrickungen mit unserem Leben. Was sich genau hinter dem Begriff “Neoliberalismus” verbirgt, lässt sich gar nicht so leicht erklären. Uns scheint sein Kern im mutmaßlichen Ideal der Work-Life-Balance zu bestehen. Arbeit und Freizeit hängen fest miteinader zusammen. Das eine gibt es nicht ohne das andere. Arbeit ohne Freizeit und Freizeit ohne Arbeit ist nicht vorstellbar. Das war nicht immer so. Am Anfang der industriell-kapitalistischen Produktion gab es kurz gesagt nur Arbeit. Die verbliebene Zeit des Tages diente zum Schlaf, zur Nahrungsaufnahme und zur Erfüllung familiärer Pflichten. So wurde die Arbeitsfähigkeit wieder hergestellt, also reproduziert. Erst sehr viel später wurde die Freizeit durch die Arbeiter_innenbewegung erkämpft, um ein wenig mehr Freiheit zu haben. Im Vergleich dazu möchte man meinen, dass heute der Großteil der Zeit aus Freizeit besteht: Arbeit und Freizeit halten eine angeblich gesunde Balance. Dieses Gleichgewicht liegt in dem Willen zur Harmonie und der Bereitschaft zum Kompriss des bürgerlichen Lebens begründet. Allerdings dienen diese Mechanismen nur dazu, einen Trugschluss zu verschleiern. Wir sind davon überzeugt, dass Freizeit die Arbeit nicht angenehmer, sondern nur produktiver macht. Wir bekommen Freizeit, um besser zu arbeiten. Wir erkaufen uns unsere Freizeit durch noch mehr Arbeit. Dieser innere Widerspruch macht das Verhältnis von Arbeit und Freizeit aus. Anders gesagt: Mit der Freizeit machen wir uns die beschissene Arbeit schmackhaft.

„Wollen die uns eigentlich verarschen?“

Je mehr man nun darüber nachdenkt, desto dreister erscheint das Video. Wir haben uns auch durch die Kommentarspalte gewühlt und sind auf Gleichgesinnte gestoßen. Da kam die Frage auf, ob man das Video überhaput ernstnehmen kann und sollte. Turns out: Die dargestellte Realität einer Arbeitswelt ist sehr genau getroffen. Das WKO-Video ist ein Erklärbär der neoliberalen kapitalistschen Produktion, der uns an die Hand nimmt und uns zeigt, wie wir als kleine Knetfiguren im pastellfarbenen Playmobil-Land Österreich zu funktionieren haben. Wir machen uns über diese Vaterfigur lustig, weil sie so durschaubar scheint, aber die Argumente sitzen. Man kann nicht wirklich widersprechen: „Ist Flexibilität nicht eigentlich doch ganz cool?“ „Ist doch gut für die Volkswirtschaft und Österreich“, denn „geht’s dem einen gut, dann geht’s uns allen gut.“

Hinter den Ohrwurm-Gitarrenriffs und eingägigen Austropop-Vocals verschwinden alle negativen Aspekte der Arbeit. Natürlich ist sich das Video bewusst, dass Arbeit für viele nicht den Lebensmittelpunkt darstellt. Deshalb wird die Freizeit – die uns allen heilig ist – immer wieder hervorgehoben. Das geht so weit, dass sämtliche Arbeit als Freizeit erscheint, die Übergänge sind absolut fließend. Dabei verschwindet die Arbeit zunehmend aus dem Blickfeld: Ist beispielsweise die Betreuung der Kinder Freizeit oder Arbeit, wenn die Arbeitszeit eigenverantwortlich eingeteilt werden kann? Handelt es sich bei Pflege wirklich um Nicht-Arbeit?

Nix is mit Chillen im Wohnzimmer

Dieses Dilemma kann man ganz gut an einer Szene veranschaulichen: Die Mutter sitzt in der Mitte ihres Wohnzimmers, wobei der Raum zweigeteilt ist: Links ist die farbenfrohe Welt ihres Zuhauses samt Kind, rechts die graue Arbeitswelt. Von beiden Seiten wird die überforderte Person belagert. Es ist keine Wand zu erkennen, die diese beiden Bereiche voneinander trennt. Dementsprechend kann die Mama durch die Arbeitszeitflexibilisierung die Arbeitswelt mitten in ihrem Wohnzimmer einfach nach rechts hinausdrängen – und bei Bedarf wieder hereinholen. Aber nur, weil dieser Bereich nicht mehr sichtbar ist, verschwindet er nicht einfach: Jederzeit kommt die Arbeit zurück ins Wohnzimmer. Aber was bleibt selbst in den Momenten, wo sie verschwindet: Kinderbetreuung. Tolle Freizeit …

Die zunächst lächerliche Aufmachung verbreitet die Botschaft des Videos umso effektiver. Durch die selbstironisch wirkende Form und die onkelhafte Erklärstimme spührt man die volle Wucht der Autorität nicht umittelbar, sie kommt in leicht verdaulichen pädagogischen Happen. Somit lässt sich die bittere Pille des Zwölfstundentages besser schlucken. Dabei ist die Dreistigkeit des Videos so überrumpelnd, dass man resigniert darüber lacht. Denn diese Suppe hat man zu löffeln, ganz nach dem Motto: Die Wirtschaftskammer hat eh recht (in ihrer Logik). Trotzdem müssen wir uns bewusst sein, dass die Freizeit keine Erlösung von der Arbeit ist, sondern die Arbeit stabilisiert. So steht auch der Widerspruch zwischen Arbeit und Freizeit permanent im Mittelpunkt des Videos, der allerdings nie direkt thematisiert wird.

Es ist sehr schwer, sich gegen die Arbeit und die Identifikation mit der Arbeit zu wehren. Aber wir suchen nach Antworten, nämlich in der 4. Ausgabe von UNTER PALMEN. Jetzt kostenlos bestellen!

– by Rostmarie & Flauschibärli