Die Angst vor dem eigenen Wunsch nach Freiheit (Ausgabe #1)

In dieser Ausgabe ist es schon viel um Nation und die verschiedenen Formen von Unterdrückung, die damit einhergehen, gegangen. Ein weiter wichtiger Aspekt ist dabei Antiziganismus. Der muss, wie der Antisemitismus, vom klassischen Rassismus getrennt gesehen werden. Antiziganismus ist ein Thema, das leider sehr oft nicht behandelt und ignoriert wird und als Begriff in der Öffentlichkeit eher selten vorkommt.

– by UNTER PALMEN

Antiziganismus?

Antiziganismus beschreibt die Feindschaft gegenüber Roma_ Romnija, Sinti_Sintize und allen Leuten, die als sogenannte “Zigeuner” wahrgenommen werden. “Zigeuner” meint Menschen, die keine sesshafte Lebensweise haben oder, und das viel öfter, rassistisch als “Zigeuner” wahrgenommen werden. Wie sich die Menschen dabei selbst sehen oder bezeichnen, ist egal.

Antiziganismus gibt es seit dem Mittelalter. Schon damals wurden “Zigeuner” für „vogelfrei“ erklärt oder aus Gebieten verbannt. Verschärft hat er sich im Verlauf der Neuzeit. Im 19. und 20. Jahrhundert kam dann hinzu, dass sie rassifiziert, also zu einer “Rasse” erklärt wurden. Damit sind dann die angeblichen Eigenschaften von “Zigeuner” zu (unveränderlichen) Wesenseigenschaften gemacht worden, was sich bis heute auswirkt und fortbesteht. In der Öffentlichkeit werden diese angeblichen Eigenschaften und Stereotype immer wieder reproduziert: Sie seien unhygienisch, neigen zu Kriminalität und Bettelei, sind primitiv, frei von Werten, tauchen nur in Sippen auf, und und und. Auch angeblich positive Eigenschaften, wie “das feurige Temperament” oder “die Ausgelassenheit”, sind nur andere Ausdrucksweisen des Antiziganismus. Innerhalb Europas hat fast jede Person von diesen Stereotypen schon mal gehört.

Antiziganist_innen sehen “Zigeuner” gleichzeitig als beneidenswert und verachtenswert, bis hin zu vernichtenswert. Voller Neid reden Menschen vom “lustigen Zigeunerleben” und der angeblichen “Ausgelassenheit” eines vermeintlichen Lebens ohne Zwänge. Gleichzeitig werden sie aber aufgrund ihrer Nichtsesshaftigkeit und dem Nicht-Fix-Eingebundensein ins Wirtschaftsleben angefeindet und deshalb als Fremdkörper in der nationalen Gemeinschaft betrachtet. So wird der Neid auf eine, als freier vorgestellte Lebensweise und der Hass auf alle, die sich nicht der Logik von Staat, Nation und Kapital beugen können oder wollen miteinander vermischt: Als „Zigeuner“ wahrgenommene Menschen sollen sich an diese Gesellschaft anpassen. Allerdings wird das durch ihre Rassifizierung auch unmöglich gemacht. Denn dadurch wird festgelegt, dass das „Zigeunerwesen“ unfähig ist, sich zu verändern. Das geht soweit, dass sie verfolgt, vertrieben und/ oder ermordet werden. Im Nationalsozialismus fand das seinen Höhepunkt. Dieser Höhepunkt, die Vernichtung von 500 000 Roma_Romnija, Sinti_Sintize während des Nationalsozialismus, wird “Porajmos” genannt. Doch dazu weiter unten mehr.

Wie gelebt wird, darum geht es gar nicht.

Es reicht einzig und allein die Vorstellung, die Antiziganist_innen von den Menschen haben und die sie sich selbst immer wieder auf Biegen und Brechen bestätigen. Allgemein fällt soetwas unter den Begriff der Projektion. Vorstellungen und Wünsche, wie der gesellschaftlich nicht anerkannte Wunsch nach einem Leben ohne Zwänge, werden abgespalten und auf “die Zigeuner” projiziert. Gleichzeitig aber darf dieser Wunsch, weil er ja gesellschaftlich nicht anerkannt ist und sich auch versucht der Logik des Kapitalismus zu entziehen, nicht existieren und so werden die Objekte der Projektion, also in diesem Fall “die Zigeuner”, zu Hassobjekten und Schädlingen gemacht, welche bekämpft werden müssen. Vielmehr, als um die einzelnen Menschen geht es also um den Wunsch der Menschen, frei zu leben, den sie sich selbst und anderen aber nicht erlauben. Gerade, dass sie als “Schädlinge” und “Schmarotzer” wahrgenommen werden, zeigt, wie stark sie als angeblich unproduktive Elemente gesehen werden. Und hier zeigt sich dann auch der Zusammenhang mit dem Kapitalismus und der Gesellschaft, in der wir leben. Eine Gesellschaft, die Menschen in “produktiv” und “unproduktiv” einteilt, und die Nation als produktive Gemeinschaft sehen will, bringt in letzter Konsequenz den Hass auf “das Unproduktive” hervor.

Wie oben schon erwähnt, gipfelte der Antiziganismus, im Porajmos. Bis heute gibt es keine bis wenig Aufarbeitung und Entschädigung für die Opfer. Entschädigungen wurden meistens mit Verweis auf die angebliche Asozialität verweigert. Die offene Diskriminierung ging und geht also weiter, wie tagtäglich beobachtet werden kann. Deswegen ist es auch heute wichtig, sich zu erinnern, sich mit Antiziganismus auseinanderzusetzen und die Betroffenen zu unterstützen. Gleichzeitig hängt er damit zusammen, wie diese Gesellschaft eingerichtet ist und kann deshalb auch nur verstanden werden, wenn das mitgedacht wird.

Mehr:

Antiziganismusberichte 2013 und 2015
Zu finden auf der Website des RomanoCentro.

Antiziganistische Zustände
Buch erschienen im Unrast-Verlag.