Alle sind sich einig: Eine Österreicher_in zu sein, das ist etwas vom aller Großartigsten auf der Welt. Besonders toll lässt sich das Österreicher_in sein feiern, wenn man eine Vorliebe für Bierzelte, Fahnen schwenken und Hymnen grölen hat. Dieses Wellnessprogramm für die Volksseele wird hierzulande von mehr als nur einer Partei angeboten. Wer es lieber ein bisschen ruhiger angeht, kann alle paar Jahre an der Wahlurne beweisen, eine guter Österreicher_in zu sein. Denn ganz egal welche Partei man wählt, die patriotische Pflicht erfüllt man auf jeden Fall. Und wer dann doch lieber zuhause auf der Couch abhängt, kommt ebenfalls auf seine Kosten: denn wenn eine Österreicher_in im Skifahren gewinnt, ist der Jubel groß, obwohl man eigentlich gar nichts gemacht hat. Schön, könnte man meinen.
Doch fragt man einmal nach, was dieses Österreicher_in sein ausmacht, dann ist es ganz schnell vorbei mit der Einigkeit und man bekommt ganz viele verschiedene Antworten, wobei eine unhaltbarer und unsinniger ist als die andere. In diesem Artikel wollen wir uns ein paar dieser nationalen Mythen genauer ansehen.
Österreichische Kultur:
Die Nummer 1 unter den Antworten auf die Frage, was Österreich eigentlich ausmacht. Immerhin handelt es sich um eine Kulturnation. “Mozart, Falco, Kipferl, Würstelstandel und Kaffeehaus”, beginnt die brave Nationalist_in sofort an ihren fünf Fingern abzuzählen und bemerkt dabei nicht, dass meistens sogar sie selbst diese vermeintliche Kultur kaum pflegt. Wenn es wirklich nach dieser Kultur gehen würde, dann wäre jede durchschnittliche Tourist_in um einiges österreichischer, als die Menschen, die hier dauerhaft leben. In Österreich finden sich nämlich Menschen mit allen möglichen kulturellen Vorlieben: die einen schauen gerne Animes, die anderen Westernfilme, manche essen gerne Pizza und die anderen Schweinsbraten, die einen lieben Techno, andere Tango und manche sogar alles zusammen. Daran ist nichts schlecht und schon gar nichts national. Welche Kultur man pflegt, hat auch damit zu tun, wie viel Geld man hat. Wer kaum seine Miete bezahlen kann, geht nicht in die Oper, um sich Mozart anzuhören. Österreicher_in hin oder her.
Im Grunde ist es ein Rätsel, was das Nationale an einer Kultur sein soll. Wenn eine Künstler_in etwas erschafft, dann ist es ihr Ausdruck und nicht der einer Nation. Ansonsten müssten alle Kunstwerke in einer Nation genau gleich sein und es dürfte sich niemals etwas an der Kultur verändern. Kultur verändert sich jedoch permanent und kennt so viele Spielarten, dass sie nicht einmal gezählt werden können. Kultur ist kein Schicksal, was besonders deutlich daran erkennbar ist, dass sie erlernt werden kann. Das selbe gilt übrigens für Sprache. Die ist nicht nur von Region zu Region sehr verschieden, sondern auch innerhalb verschiedener sozialer Gruppen. Kärntner_innen und Vorarlberg_ innen sprechen genauso wenig die gleiche Sprache, wie Studierende und Bauarbeiter_innen. National ist daran ebenfalls nichts und das ist auch kein Problem: Entscheidend ist, was gesagt wird, ganz egal in welcher Sprache. Die Rechnung: eine Nation = eine Sprache = eine Kultur, geht auf jeden Fall nicht auf.
Österreichische Geschichte:
Versucht man die Nation mit Geschichte zu begründen, macht man einen logischen Fehler. Denn damit etwas eine Geschichte haben kann, muss es erst einmal existieren. Und nichts existiert dadurch, dass es eine Geschichte hat.
Schaut man sich die österreichische Geschichte etwas genauer an, drängt sich die Frage auf, was daran eigentlich keine Katastrophe war. Erster Weltkrieg, Austrofaschismus, zweiter Weltkrieg und nicht zuletzt die Shoah. Und auch die Geschichte des Nachkriegsösterreich ist kein Ruhmesblatt: Die Tristesse des kapitalistischen Alltags einerseits und die dreiste Lüge, man selbst wäre das eigentliche Opfer des Nationalsozialismus, andererseits. Und was die Rolle des Austrofaschismus betrifft, gibt es bis heute keinen Konsens in der österreichischen Gesellschaft. Wir leben also in einem Staat, indem man für den Überfall auf eine Tankstelle härter bestraft wird, als die Mörder_innen von 6 Millionen als Jüdinnen und Juden verfolgte Menschen, 26 Millionen Menschen in Osteuropa usw. Die meisten wurden nämlich überhaupt nicht bestraft, sondern konnten in Ruhe Karriere machen, ihre Vorgärten pflegen oder mithelfen, die Nachfolgepartei der NSDAP aufzubauen. Ob und wie diese Geschichte fortgesetzt wird, lässt sich natürlich nur schwer einschätzen. Besonderen Anlass zur Hoffnung gibt es jedenfalls nicht.
Österreichische Werte:
Wenn die Rede von österreichischen Werten ist, dann fragt man sich immer, welche das eigentlich sein sollen. In Anbetracht der österreichischen Geschichte wären Mord, Folter und Deportation ganz gute Kandidaten. Im Grunde geht es beim Gerede über Werte aber um etwas anders: es wird unterstellt, wir hätten uns alle gemeinsam zusammen gesetzt, um auszudiskutieren wie wir miteinander leben wollen. Schließlich haben wir uns auf unsere Werte geeinigt, diese in der Verfassung fest geschrieben und halten uns seitdem daran. Klingt eigentlich gar nicht so blöd – ist allerdings ein Märchen. Genauso wenig, wie jemals jemand von uns ernsthaft gefragt wurde, welche Art des Zusammenlebens gewählt werden soll, gab es eine Gründungssituation, in der das geklärt wurde. Überhaupt, warum braucht es einen riesigen Gewaltapparat wie Justiz, Polizei und Militär, um die Gesetze durchzudrücken, wenn wir uns doch alle aus vernünftigen Gründen darauf geeinigt haben, nach welchen Gesetzen wir leben wollen?
Nicht zuletzt gelten österreichische Werte als Argument gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Diese werden damit unter Generalverdacht gestellt: Einerseits sollen alle Geflüchteten die selben Werte haben und andererseits sind diese mit den unsrigen unvereinbar. Doch Werte werden nicht mit der Muttermilch eingesogen und wenn die österreichischen Werte so toll wären, dann dürfte das für Geflüchtete auch unschwer erkennbar sein. Vor allem für jene, die ihre Herkunftsregionen aufgrund unerträglicher Zustände verlassen mussten, dürften die paar individuellen Freiheiten, die es hierzulande gibt, besonders attraktiv sein. Dass Werte nur ein Vorwand sind, lässt sich unschwer an der Doppelmoral von deren selbsternannten Verteidiger_innen erkennen: die selben, die es völlig okay und irgendwie auch einfach nur natürlich finden einer Frau* ungefragt an den Hintern zu greifen, argumentieren plötzlich mit Frauenrechten gegen Flüchtlinge. Diese Argumentation gipfelt zumeist in der Forderung “kriminelle Ausländer abschieben”, denn wer sich nicht an unsere Regeln hält, muss gehen. Auf die Idee kriminelle Inländer_innen irgendwohin abzuschieben, ist jedoch noch niemand gekommen.
„Rasse“:
Von “Rassen” redet heute fast niemand mehr. Auch wenn sich Nationalist_innen meistens nicht sonderlich daran stören, wenn ihre Vorstellung mit der Realität nicht zusammen passen, ist es schwierig geworden, die biologische Tatsache, dass es keine Menschenrassen gibt, zu leugnen. Es lässt sich zwar feststellen, dass äußerliche körperliche Merkmale wie Augenfarbe, Hautfarbe und Haarfarbe in manchen Weltregionen häufiger vorkommen als in anderen, mit “Rasse” hat das allerdings nichts zu tun und damit, wie die Welt in Nationalstaaten aufgeteilt ist schon gar nicht. Unterschwellig spielt die Idee von “Rasse” allerdings immer noch eine große Rolle. Wäre das Kebabstandl immer noch eine Bedrohung für die österreichische Kultur, wenn die Verkäufer_in eine weiße Hautfarbe hätte? Woran erkennt man eigentlich, ob es sich um eine kriminelle Ausländer_in handelt, die abgeschoben werden muss oder eine kriminelle Inländer_in die bleiben darf ?
Auch wenn sich heute kaum noch eine Nationalist_in offen dazu bekennt eine Rassist_in zu sein und lieber irgendwas über Kultur, Sprache, Werte oder Geschichte labert, steht hinter diesem Gerede nicht selten der altbekannte Hass auf “minderwertige Rassen”. Zumindest die Konsequenz ist die selbe: es wird ein essentialistischer Unterschied zwischen Menschen behauptet, eine Ungleichheit die nicht überbrückt werden kann.
Was noch nie war, kann ja noch werden: Die Versuche, eine positive Bestimmung der Nation zu geben, scheitern auf der ganzen Linie. Für Nationalist_innen ist das nicht weiter dramatisch. Vielmehr bestätigt es ihre Wahnvorstellung vom Bedrohungsszenario, indem sich die Nation befindet. Die österreichische Kultur wird bedroht von der US-amerikanischen, die Sprache ist durchsetzt von Fremdwörtern, die Politik wird beeinflusst von fremden Mächten und immer mehr “fremdes Blut” sickert ein in den nationalen Genpool. Dagegen gilt es aufzustehen, die Österreicher_innen wieder zu Herren im eigenen Land zu machen und die Nation in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Nationale Geschichte soll geschrieben werden! An der Unfähigkeit bestimmen zu können, was eigentlich national ist, und der Gewissheit genau zu wissen, was nicht national ist, offenbart sich das wahre Programm der Nationalist_innen: die gewünschte Gleichheit von Kultur, Sprache, Rasse und Sittlichkeit soll dadurch hergestellt werden, dass alles was nicht als national gilt benachteiligt, ausgegrenzt, isoliert oder in letzter Konsequenz vernichtet wird. Ein Zusammenleben indem alle ohne Angst verschieden sein können, ist mit der Nation nicht zu haben.
Mehr:
Einen weiteren spannenden Text zu diesem Thema findet ihr unter antinational.org/why-anti-national/.