Die Wohnungen denen, die sie brauchen! (Ausgabe #6)

Wohnungslose Frauen* leben oft in unsicheren Unterkünften und sind stark von persönlicher Abhängigkeit betroffen. Eine Voraussetzung für erfolgreiche Hilfe: weibliche Wohnungslosigkeit sichtbar machen.

by Judith Pospisil

Der selbst gestrickte himmelblaue Pullover ist farblich gut mit ihrer pinken Hose und der orangen Jacke abgestimmt. Ihr jugendliches Erscheinungsbild trotzt den tiefen Furchen, die das Leben Regina Amer ins Gesicht gezeichnet hat. Als Vorstandsmitglied des Vereins Selbstvertretung Wohnungsloser Menschen und Gründerin von HOPE Österreich engagiert sie sich für die Anliegen von wohnungslosen Menschen. Um die öffentliche Auseinandersetzung mitzubestimmen, teilt sie ihre eigenen Erfahrungen. “Es wird viel über wohnungslose Menschen gesprochen, aber nicht mit ihnen. Wir sind keine Wählergruppe und deshalb werden wir nicht ernst genommen.”

“Obwohl Frauen* stärker von Armut betroffen sind als Männer*, nehmen sie Wohnungslosenhilfe weit weniger oft in Anspruch. “

Im Oktober 2011 verlor Regina Amer ihre Wohnung – kurz nachdem ihr Freund an Krebs verstarb. In den Monaten vor seinem Tod kümmerte sich Regina nicht mehr um das Zahlen von Rechnungen. Ungeöffnete Mahnungen sammelten sich am Küchentisch und eingeschriebene Briefe blieben auf der Post liegen. “Als ich nach Weihnachten begonnen habe, mich um meine ganzen Briefe zu kümmern, konnte ich die Wohnung nicht mehr halten”, erzählt sie. 

Mind the Gap

Wie viele Frauen* in Wien Reginas Schicksal teilen, ist schwer auszumachen. Obwohl Frauen* stärker von Armut betroffen sind als Männer*, nehmen sie Wohnungslosenhilfe weit weniger oft in Anspruch. Diese Diskrepanz lässt sich durch verdeckte Wohnungslosigkeit erklären. Frauen* in Not schlafen häufig bei Freundinnen auf der Couch oder gehen Zweckbeziehungen ein. Diese Form der Wohnungslosigkeit ist stark von Abhängigkeiten geprägt. Nicht selten werden sexuelle Gefälligkeiten oder Haushaltsleistungen im Tausch für einen Schlafplatz erwartet.

„Es ist notwendig, verstärkt auf die besondere Situation von wohnungslosen Frauen* einzugehen und entsprechende Angebote zu entwickeln.”

Das wichtigste Merkmal der weiblichen Wohnungslosigkeit ist die Unsichtbarkeit. Sie verunmöglicht nicht nur die statistische Erhebung des Problems, sondern verhindert auch, dass Hilfeleistungen bei wohnungslosen Frauen* ankommen. Es ist daher notwendig, verstärkt auf die besondere Situation von wohnungslosen Frauen* einzugehen und entsprechende Angebote zu entwickeln.

Genderspezifische Einrichtungen

Obdach Ester, ein niederschwelliges Tageszentrum für Frauen* verfolgt diesen genderspezifischen Ansatz. Der Schutzraum steht allen Frauen* offen, auch Kinder und Hunde dürfen mitgebracht werden. Kaffee und Mohnschnecken laden zum Aufwärmen ein. Die Kleiderspenden, Waschmaschinen und Duschen stehen den Besucher_innen an 365 Tagen im Jahr zur Verfügung. Die Ester richtet ihr Angebot dezidiert auch an Transfrauen. “Frau* ist Frau*”, beschreibt die Teamleiterin von Obdach Ester, Dogan Kibar, das Grundprinzip der Einrichtung. Damit steht die Ester alleine auf weiter Flur. In der Regel ist die Wohnungslosenhilfe blind gegenüber Transgender und ihren Bedürfnissen. Die Frauen*, die hier Zuflucht suchen, sind sehr unterschiedlich, aber der Weg in die Wohnungslosigkeit ist für viele von Gewalt und Trennung geprägt.

„In der Regel ist die Wohnungslosenhilfe blind gegenüber Transgender und ihren Bedürfnissen.“

Kibar erklärt, dass weibliche Armutsrisiken die Wurzel der weiblichen Wohnungslosigkeit sind. Ein Beispiel: nach wie vor stehen Männer* häufiger in Mietverträgen. In der Konsequenz verlieren Frauen* im Falle einer Trennung ihren Anspruch auf die gemeinsame Wohnung. Der Zugang zu rechtlich abgesicherten Wohnverhältnissen sollte für Frauen*daher besondere Bedeutung haben. 

(Irr)wege aus der Wohnungslosigkeit

Trixie ist Sozialarbeiterin und hat drei Jahre in der Ester gearbeitet. Vor kurzem hat sie ihre Stelle an den Nagel gehängt. Sie erträgt es nicht länger, das Trostpflaster auf klaffenden Wunden zu sein. “Einer Frau*, die nicht weiß, wo sie heute Nacht schlafen soll, zu sagen: Bett gibt es keines, aber hier hast du einen Schlafsack. Das pack ich nicht mehr.” Trixie bezeichnet die bürokratischen Voraussetzungen, um eine eigene Wohnung zu erhalten, als absurd und spricht vom Nadelöhr Betreuungsbedarf. Um über die Wohnungslosenhilfe an eine eigene Wohnung zu kommen, gilt es, Bedürftigkeit nachzuweisen. Armut oder ein gewalttätiger Ehemann sind nicht Grund genug. “Auch das grundlegende Problem, dass der Immobilienmarkt so beschissen ist, zählt nicht.”  beklagt Trixie.

„Das grundlegende Problem, ist der beschissene Immobilienmarkt.“

Die Wohnungen denen, die sie brauchen!

Die Forderung von HOPE Österreich ist es, einen leichteren Zugang zu Wohnungen für Betroffene zu schaffen. Denn Notschlafplätze und Tageszentren sind zwar ein Weg, um die akute Not zu stillen, aber können am grundlegenden Problem nichts ändern. Regina Amer erzählt, dass eine Wohnung weit mehr ist als ein Dach über dem Kopf. Es sind häufig die vermeintlich kleinen Dinge, die einen Unterschied machen. “Eine eigene Wohnung bedeutet, selbst entscheiden zu können, wann ich aufstehe und wann ich schlafen gehe.” Seit März 2015 lebt Regina wieder in ihren eigenen vier Wänden, aber die Angst, die Wohnung zu verlieren, die bleibt.