Ein von Durchhalten geprägtes Dasein (Ausgabe #12)

Trans Personen sehen sich lebenslang mit struktureller Unterversorgung konfrontiert. Wir müssen füreinander Care leisten und voneinander Care beziehen. Das Resultat ist ein Prozess, der viel gibt, aber auch nimmt.

– von Luan Herbst

Wenden sich andere von uns ab, wenden wir uns einander zu! Angesichts des Ausschlusses von gesellschaftlichen Strukturen und der Unterversorgung im Pflegebereich sind trans Menschen darauf angewiesen, fehlende Fürsorge zu kompensieren – mit gegenseitiger Selbstsorge. Wie aber verstehen wir diese Form von Care-Arbeit? Wie kann trans Selbstsorge aussehen, was kann sie leisten – und was nicht?

»Pflegepersonal und Therapeut_innen stehen uns nicht als Unterstützer_innen bei, sondern als Skeptiker_innen entgegen.«

TRANS SEIN… MACHT TRANS CARE NOTWENDIG

Netze kollektiver Care von, für und mit trans Personen entspringen einer schlichten Notwendigkeit. Der Staat mit seiner lästigen, zehrenden Bürokratie, Fachärzt_innen mit langen Wartezeiten und fehlendem Know-How im Umgang mit trans Patient_innen, bohrende Fragen aus unserem Umfeld… trans sein ist anstrengend, wenn auch nur weil es anstrengend gemacht wird.

»Trans Care beinhaltet das Potential, trans Menschen mit der Rückendeckung auszustatten, die sonst fehlen würde.«

Um ein Beispielen zu nennen: Für trans Personen ist der Zugang zur Hormontherapie in Österreich streng reguliert. Dieselben Hormone, die cis Männer mit non-normativem Testosteronanteil oder cis Frauen in der Menopause einfach verschrieben bekommen, müssen sich trans Menschen mit viel Geduld und Mühe erkämpfen. Erst nach Gutachten von drei Fachärzt_innen – inklusive medizinischer Untersuchungen und der Vergewisserung, dass du wirklich und unwiderruflich trans bist –, sowie den entsprechenden Wartezeiten kannst du legal Hormone erhalten. Prozesse wie diese sind äußerst kräftezehrend. Pflegepersonal und Therapeut_innen stehen uns meist nicht als Unterstützer_innen bei, sondern als Skeptiker_innen entgegen.

TRANS CARE MEINT… DEN GESCHIRRSPÜLER AUSRÄUMEN

Deshalb ist es für trans Menschen notwendig, die Ressourcen einander zur Verfügung zu stellen. Wir vernetzen uns , um Erfahrungen von Gewalt, Diskriminierung und Ausschluss zu navigieren und Politiken des Füreinander-Daseins zu praktizieren. Wir wollen gegenseitige Unterstützung, Solidarität und Zuneigung ermöglichen; in einer Weltordnung, die uns alles andere als zugeneigt ist. Yes we care! But how?
Trans Selbstversorgung meint vieles, zu einem Großteil Wissensweitergabe. Abgesehen davon bedeutet trans Care materielle Versorgung, finanzielle Vorsorge und emotionale Fürsorge. Das bedeutet: Du schenkst mir deinen alten Binder, den du seit deiner Mastektomie nicht mehr brauchst. Ich vergebe freie WG-Zimmer explizit an trans Personen. Es räumt täglich den Geschirrspüler aus, da they sich nach der Top Surgery wochenlang weder strecken noch bücken darf. Du und ich, wir recherchieren Fachärzt_innen und sitzen händehaltend im Wartezimmer. Wir veranstalten Lesekreise zu Transgender Marxism, geben Hormonstoffe weiter und brauchen das letzte Packerl Testogel gemeinsam auf. All diese Dingemeint trans Care,den Versuch, unsere Leben lebbar zu machen. Wir bemühen uns, Lücken zu schließen, die uns aufgemacht werden. Doch ist weder garantiert, dass es gelingt, noch, dass es einfach ist.

TRANS SEIN IST ANSTRENGEND… TRANS CARE AUCH

Status Update? Es ist kompliziert. Im besten Fall garantiert Care-Arbeit, die trans Menschen füreinander aufbringen und miteinander verrichten, nicht nur Überleben, sondern auch das Wohlbefinden aller Beteiligten. Bei diesen Vernetzungen handelt es sich um einmalige, oftmals innige und grundsätzlich komplexe Verbindungen. Trans Care beinhaltet das Potential, trans Menschen mit Intimität, Familiarität und Rückendeckung auszustatten, die sonst fehlen würde. Trans Care-Arbeit meint  individuelle und kollektive Bemühungen, für uns und füreinander da zu sein. Denn diese Art von Care ist Lichtjahre entfernt von in Institutionen verrichteter Lohnarbeit – immerhin werden wir von jenen Institutionen Tag um Tag im Stich gelassen!

»Doch so sehr wir auch caren, eine trans Utopie abseits der cisnormativen Dystopie liegt in den Sternen noch unergründeter Universen.«

So sehr wir auch untereinander caren, eine trans Utopie abseits der cisnormativen Dystopie liegt in den Sternen noch unergründeter Universen. Kollektive Selbstsorge angesichts fehlender sozialer Versorgung macht trans Care zu einer komplexen und ambivalenten Erfahrung. Die Notwendigkeit, füreinander da zu sein und füreinander da sein zu müssen, eröffnet einerseits viele intime und einzigartige Erfahrungen. Andererseits ist es ein bedrückendes Erlebnis, durch und durch voneinander abhängig zu sein bzw. gemacht worden zu sein. Das ist die Schattenseite von trans Care. Yes we care! Because we have to, not because we want to. Oftmals haben wir nicht die Zeit und Kraft, für jemanden da zu sein, indem wir unqualifizierte Therapeut_innen spielen. Ängste, Abhängigkeit, Belastung, Zweifel und Verpflichtungsgefühle prägen unser von Durchhalten geprägtes Dasein. Yes we care! But we wish others did, too.

Zum Weiterlesen:

Trans Care (2020) – Aus wissenschaftlicher Perspektive, verwoben mit persönlicher Erfahrung widmet sich Hil Malatino in diesem Buch den vielen Facetten von trans Care.

Trans & Care. Trans Personen zwischen Selbstsorge, Fürsorge und Versorgung (2019) – der von Max Nicolai Appenroth und Maria do Mar Castro Varela herausgegebene Sammelband bietet ebenso Einblicke in die Verstrickungen von trans Care und Gesellschaft.