Familienpolitik made queer (Ausgabe #12)

Verbindungen zwischen Menschen sind vielfältig, und doch berücksichtigt der Staat nur wenige Beziehungskonstellationen. Das ist fatal.

– von Caroline Schmüser

Am 4. Dezember 2017 war es auch in Österreich so weit. Der Verfassungsgerichtshof entschied: Die Ehe soll ab 2018 auch für gleichgeschlechtliche Paare möglich sein. Dass Homosexuelle nicht heiraten dürfen, sei diskriminierend, heißt es in der Entscheidung. Die „Ehe für alle“ – ein revolutionärer Fortschritt? Nicht wirklich, sagen einige queere Aktivist_innen und Wissenschaftler_innen. Denn: „Für alle“ kann die Ehe gar nicht sein.

ÖFFNUNG DER EHE – EIN WAHRER FORTSCHRITT?

Dass Staaten die Ehe öffnen, ist erstmal nichts Schlechtes. Schließlich gewährt die Ehe queeren Paaren mit oder ohne Kindern rechtliche Sicherheit und ist außerdem ein Zeichen für Entstigmatisierung. Und trotzdem: Die Ehe bleibt weiterhin nur wenigen Beziehungskonstellationen vorbehalten. Nur, wer sich staatlichen Vorstellungen dessen, was in Bezug auf Liebe und Familie als „normal“ gilt, anpassen kann, darf heiraten. So ist die Ehe allein zwischen zwei Personen möglich und außerdem an romantische oder sexuelle Anziehung geknüpft. Dabei sind Beziehungen zwischen Menschen vielfältig.

»Nur, wer sich staatlichen Vorstellungen dessen, was in Bezug auf Liebe und Familie als „normal“ gilt, anpassen kann, darf heiraten.«

Es gibt Alleinerziehende, die zusammenziehen und Care-Aufgaben teilen oder Mitbewohner_innen, die wichtige Bezugspersonen füreinander sind. Oft schließen sich schwule und lesbische Paare zusammen, um ein Kind zu bekommen und dieses gemeinsam großzuziehen. In den USA bieten etwa seit den 60er Jahren ältere trans Personen of Color – sogenannte „house mothers and fathers“ – queeren Jugendlichen Unterkunft und Unterstützung, die in ihrer biologischen Familie fehlen. Und während der AIDS-Krise solidarisierten sich Schwule, Lesben und trans Personen, um Erkrankte zu pflegen. 

RECHT OHNE GERECHTIGKEIT

Was all diese Konstellationen vereint: In ihnen sorgen sich Menschen umeinander, übernehmen Verantwortung für ihr Gegenüber oder möchten sich gemeinsam um Nachwuchs kümmern. Sie fallen aber nicht unter klassische Vorstellungen von Familie. Damit bleibt ihnen staatliche Unterstützung und rechtliche Absicherung – im Gegensatz zu verheirateten Paaren und ihren Kindern – meist verwehrt. Das hat Folgen.

»Die „rechtliche Verwandtschaft“ greift in allen Lebensbereichen.«

Denn die „rechtliche Verwandtschaft“ greift in allen Lebensbereichen: Sie bestimmt, wer im Todesfall Entscheidungen treffen darf. Wer bei Krankheit Pflegeurlaub beantragen kann. Wer das Sorgerecht für ein Kind erhält. Wer was und wie viel erbt. Wer nach Flucht oder Migration aus dem Ausland wen nachholen darf. Oder wer wie viele Steuern zahlt. Doch wie kann eine Familienpolitik aussehen, die die Fürsorgebeziehungen aller Menschen berücksichtigt?

FAMILIENPOLITIK NEU DENKEN

Die Idee queerer Aktivist_innen und Wissenschaftler_innen ist im Prinzip simpel: Rechte sollten flexibel vergeben werden. Eine Person kann dann – natürlich in Absprache mit den betroffenen Menschen – entscheiden, mit wem und wie vielen Menschen sie z. B. die Elternschaft eines Kindes teilen möchte, wem welches Erbe zusteht oder wer in welchen Lebenslagen Verantwortung für sie übernimmt. Egal, ob es sich dabei um den_die Ehepartner_in, Freund_innen oder auch Nachbar_innen handelt.

Ein Grundsatz sollte auch sein: Die Privilegien der Ehe gehören zum Wohle aller abgeschafft. Die Ehe sollte keine finanziellen Vorteile mit sich bringen. Stattdessen muss der Staat die Einkommenssteuer individuell festlegen und nicht am Beziehungsmodell einer Person festmachen. In wenigen Ländern unterbreiteten offizielle Gremien bereits solche Vorschläge, wie etwa in Kanada. Dort empfahl im Jahr 2001 die Law Commission, das »gesamte Spektrum enger persönlicher Beziehungen« rechtlich abzusichern und zu unterstützen. Umgesetzt hat die kanadische Regierung die Vorschläge bisher nicht.

QUEERE FAMILIENPOLITIK UMSETZEN

Dafür verabschiedete Kuba im Jahre 2022 neue Familiengesetze, die Beobachter_innen zu Teilen als die „fortschrittlichsten der Welt“ bezeichneten. Der Cuban Law Code erlaubt nun nicht nur die gleichgeschlechtliche Ehe, sondern ersetzt z. B. auch elterliche „Autorität“ durch „Verantwortung“, spricht Großeltern mehr Rechte zu und erlaubt die nicht-bezahlte Leihmutterschaft.

Zudem definiert Kuba Familie völlig neu. Sie sei „eine Vereinigung von Menschen, die durch ein emotionales Band verbunden“ sind. Die Definition löst sich somit von biologischen Konzepten – und legt stattdessen einen Schwerpunkt auf gegenseitige Fürsorge. Diese Regelungen greifen zwar noch immer nicht weit genug. Sie sind aber ein Anfang.

»Die Privilegien der Ehe gehören zum Wohle aller abgeschafft.«

Dass alle Formen der Fürsorge rechtliche Absicherung erlangen, ist nur ein Ziel queerer Familienpolitik. Auch der Staat selbst muss mehr Verantwortung übernehmen. Pflegeaufgaben sollten nicht Verwandte oder Freund_innen übernehmen müssen, sondern professionelles Gesundheitspersonal. Einrichtungen zur Kinderbetreuung muss die Regierung ausbauen und finanzieren. Und leistbarer Wohnraum muss für alle zugänglich sein. Erst wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann Familienpolitik wirklich gerecht sein.

Zum Weiterlesen:

Ban Marriage! – Sushila Mesquita erklärt in diesem Buch, warum die Öffnung der Ehe nicht nur positiv ist und entwirft eine radikale Familienrechtsreform.

„We care!“ – In diesem taz-Podcast führt Journalistin Sarah Ulrich feministische Gespräche zu Care-Arbeit und fragt auch, wie wir diese teilen können. https://taz.de/Podcast-We-care/!t5712367/