Immer wieder Österreich? (Ausgabe #1)

Warum die Nation nicht vom Himmel gefallen ist, Österreich so viele Fans hat und eigentlich alles anders werden muss.

– by UNTER PALMEN

Heute läuft einiges schief. Wenn man sich die Welt so anschaut, sieht es alles andere als rosig aus. Aber woher kommt das? Armut, Rassismus und traurige Zukunftsaussichten sind ja nicht einfach so vom Himmel gefallen. Wir würden sagen, die Ursachen liegen in der Art und Weise, wie die derzeitige Gesellschaft gestaltet ist. Hier denken wir an Staat, Nation und Kapital.

Schön wär’s!

Stell dir vor, die Wirtschaft wäre dazu da, alle Dinge zu produzieren, die wir Menschen so bräuchten. Einfach, um uns allen ein schönes Leben zu ermöglichen. Klingt gut, oder? Leider sieht die Realität anders aus. Heute wird gar nichts produziert, einfach weil irgendjemand es braucht. In der Schule wird uns zwar erzählt, die Nachfrage nach Dingen bestimmt, wie viel davon hergestellt wird. Das stimmt aber nicht. Die reine Nachfrage interessiert in der Wirtschaft erst mal niemanden. Erst die zahlungskräftige Nachfrage wird interessant. Soll heißen, nur weil du etwas brauchst, bekommst du es nicht. Du musst es dir schon leisten können.

Der Witz dabei ist, das liegt nicht an irgendwelchen gierigen Leuten. Das kommt einfach daher, wie unsere Wirtschaft gestaltet ist. Dass heute fast alles irgendwem gehört, müssen wir dir ja nicht erzählen. Dass es dabei ganz schöne Ungleichheiten gibt auch nicht. Die einen besitzen ein ganzes Unternehmen, die anderen nur ein paar Kleinigkeiten. Diejenigen, im Besitz der Unternehmen, sind gezwungen, mit diesen Gewinn zu machen. Möglichst viel Gewinn sogar. Schließlich muss am Ende mehr Geld rausschauen, als sie hineingesteckt haben. Denn um langfristig wirtschaften zu können, müssen nicht nur die Kosten für Arbeitskräfte, Rohstoffe und Maschinen gedeckt sein. Da ist nämlich die Sache mit der Konkurrenz. Sagen wir, die Firma Huber & Co. produziert Tische. Damit ist sie aber nicht alleine. Tische herstellen, das tun viele. Die müssen sich dann jeweils am Markt gegeneinander durchsetzten. Schließlich haben sie alle Interesse daran, ihre eigenen Produkte zu verkaufen. Um bei diesem Spaß mitzuhalten, ist ein ganz schönes Sümmchen nötig. Ständig muss investiert werden, um schneller, besser, billiger als die anderen zu arbeiten. Eine Unternehmer_in kann also nicht einfach Güter produzieren lassen und diese an alle, die sie benötigen, ausgeben. Oder anders gesagt: Klar könnte sie das machen. Das Ding ist nur, dann wäre sie ziemlich schnell keine Unternehmerin mehr, weil sie ohne Geld dastehen würde.

Der wichtigste Bestandteil unseres Wirtschaftssystems ist also, dass aus einem gewissen Wert ein größerer Wert gemacht wird und das immer und immer wieder. Diesen Prozess der „Wertverwertung“ nennen wir Kapital. Und weil das Kapital und alle seine Folgen für unsere Gesellschaft so prägend sind, heißt die dann…, was für eine Überraschung: Kapitalismus.

Lieber Staat…

Wenn man sich das so überlegt, drängt sich die Frage auf: Warum tut denn niemand etwas? Eine Wirtschaft, die sich an menschlichen Bedürfnissen orientiert, wäre doch viel besser. Klar wäre sie das! Dumm nur, dass es heute alle für selbstverständlich halten, dass es so etwas wie Eigentum, Konkurrenz und Kapital gibt. Dass alle Dinge einen Wert besitzen und daher auch gekauft und verkauft werden, erscheint wie das natürlichste auf der Welt. Ist es aber nicht!

Aber mal abgesehen davon, dass kaum jemand einen grundlegenden Einwand gegen den Kapitalismus hat, wäre da auch noch die Sache mit dem Staat. Der ist nämlich gar nicht so der nette Dude, für den er gerne mal gehalten wird. Bei genauerer Betrachtung hängen Staat und Kapital nämlich untrennbar zusammen. Ohne den Staat ist kein Kapital zu haben. Warum ist das so? Erstens sichert er, dass es Eigentum gibt. Wenn Leute versuchen würden das Eigentum abzuschaffen, bekämen sie ziemlich schnell, ziemlichen Stress mit der Polizei. Und zweitens garantiert der Staat die „Freiheit“ und „Gleichheit“ seiner Bürger_innen vor dem Gesetzt. Im Ideal würde das bedeuten, dass alle Bürger_innen die gleichen Rechte und Pflichten vom Staat auferlegt bekommen. Wenn man sich die Geschichte so ansieht, kann man das sicher als Fortschritt verbuchen. Gut, dass heute niemand mehr Leibeigener sein muss. Die Sache hat aber auch einen Haken: Fast alle Bürger_innen sind nämlich nicht nur frei von persönlicher Herrschaft, sondern sie sind auch noch frei von den Dingen, die sie brauchen, um sich zu erhalten. Alle Rechte nützen mir nicht viel, wenn mir das Notwendige zum Leben fehlt. Daher sind eine ganze Menge Leute gezwungen, sich irgendwie zu beschaffen, was sie brauchen. In einer Welt des Eigentums heißt das, sie müssen sich Essen, Kleidung, Wohnung, und so weiter kaufen. Um das nötige Geld zu haben, wird dann erst einmal für Lohn gearbeitet. So kommen Unternehmer_innen und Lohnabhängige zusammen. Nicht weil ein Herrscher sie dazu zwingt, sondern weil ihnen aufgrund ihrer rechtlichen und wirtschaftlichen Lage keine andere Wahl bleibt. Und auch hier gilt: Alle gegen alle. Wer Erfolg haben will, muss sich in der Konkurrenz um Arbeits- und Ausbildungsplätze, Stipendien und gute Noten durchsetzten. Dass es dabei nicht nur Gewinner_innen geben kann, ist klar. Im Gegenteil: Die meisten schauen durch die Finger.

Manche meinen, all diese Probleme ließen sich lösen, indem man das Geld abschafft. So einfach ist es aber nicht. Die Ursachen liegen tiefer. Geld ist ein Mittel, um den Warenaustausch im Kapitalismus zu organisieren. Es abzuschaffen, sonst aber alles beim Alten zu belassen, würde an den grundsätzlichen Funktionsweisen der Wirtschaft nichts ändern. Abgesehen davon, würde so ein Experiment schlicht an seiner praktischen Unmöglichkeit scheitern.

Ganz schön grausig!

Wir haben gesehen, Kapital und Staat sind nicht gerade gut für das allgemeine Wohlergehen. Auch alleine wäre diese Kombi schlimm genug. Leider haben die beiden aber noch widerliche Gesellschaft: die Nation.

Nationen gibt es heute reichlich. Österreich, Deutschland, Italien… die Liste ließe sich lang vorsetzen. Von den meisten Leuten wird die Nation dabei als Gemeinschaft gesehen. Als Gemeinschaft, die durch eine Kultur oder durch biologische Abstammung verbunden ist. Der Staat soll dabei ein Instrument zur Durchsetzung nationaler Interessen sein.

So richtig lässt sich diese Vorstellung in der Realität aber nicht halten. Eine angeblich gemeinsame Kultur, muss schon mit viel Mühe herbeigeredet werden. Die einen hören gerne Punkrock, ernähren sich vegetarisch, und halten Arbeit für das letzte. Die anderen können sich gar nichts geileres als Schweinsbraten und Burgtheater vorstellen. Wo soll da bitte die gemeinsame Kultur sein? Zu den biologischen Gemeinsamkeiten, können wir nur sagen: das klingt nicht nur rassistisch, sondern ist es auch! Dass sich solche Vorstellungen nicht halten lassen, ist schon seit Jahrzehnten bewiesen.

Aber wie kommen die Leute dann auf so was? Ein paar wichtige Gründe fallen uns ein. Die Vorstellung, alle Ösis hätten etwas gemeinsam, stimmt nämlich in gewisser Weise. Was allerdings geteilt wird, sind weder Kultur noch Gene, sondern wirtschaftliche Abhängigkeit. Der Staat, die Unternehmen und die Lohnabhängigen sind alle darauf angewiesen, dass die Wirtschaft läuft. Wenn nicht ordentlich Werte geschaffen werden und die Unternehmen rote Zahlen schreiben, trifft das alle.

Dem Staat geht erst mal seine wichtigste Einnahmequelle flöten. Der finanziert sich nämlich zu einem guten Teil über Steuereinnahmen. Steuern einziehen, kann man aber nur da, wo es etwas zu besteuern gibt. Keine Gewinne, keine Löhne, keine Steuern. Da heißt es dann erst mal sparen. Sparen beim Gesundheitssystem, bei der Bildung, bei den Pensionen,… Das bekommen dann vor allem die Lohnabhängigen zu spüren. Besonders, wenn sie gerade ihre Jobs losgeworden sind. Auch eine Folge von fehlenden Gewinnen. Ein Unternehmen, das am eingehen ist, entlässt schließlich erst mal fleißig Beschäftigte. Den Leuten ist diese geteilte Abhängigkeit von der erfolgreichen „Wertverwertung“ zwar schmerzlich bewusst, leider ziehen sie aber die falschen Schlüsse daraus. Die Erfahrung im selben Boot zu sitzen, wird zur Grundlage für nationale Ideologie. Besser wäre klarer Weise die Unterordnung der Menschen unter die Wirtschaft abzuschaffen. Bedarfswirtschaft statt Flucht in nationale Fantasien, quasi.

Und wenn wir schon bei Flucht in nationale Fantasien sind. Die Nation ist nicht einfach eine dumme Illusion. Im Gegenteil, der „Glaube“ an die Nation gibt den Leuten eine ganze Menge. Konkurrenz, Unsicherheit und Ohnmachtserfahrungen sind Alltag für ganz viele. Da ist die Vorstellung, Teil einer tollen Gemeinschaft zu sein, durchaus verlockend. Wer gerade schlecht dran ist, kann sich daran festhalten immerhin Österreicher_in zu sein. Wer Erfolg hat, weiß: „Ich leiste nicht nur für mich, sondern auch für mein Land etwas!“

Außerdem kann man sich in der nationalen Gemeinschaft so schön aufgehoben fühlen. Die in real life ständig vorhandene Konkurrenz scheint ausgeschaltet. Anstatt dessen heißt es gemeinsames Arbeiten für das nationale Wohl. Da lässt sich die wirkliche Erfahrung des ständigen Wettbewerbs gleich leichter ertragen. Dass für Staat und Wirtschaft Individuen nichts zählen, wird schlicht verdrängt.

Auch die eigene Ohnmacht kann durch die Identifikation mit der Nation aufgewogen werden. Die Nation als große Gemeinschaft mit eigenem Staat scheint handlungsfähig. Teil von so etwas zu sein, tröstet über im Alltag gemachte Erfahrungen von Hilflosigkeit hinweg. Wer kennt es nicht, das Gefühl, dass die Dinge schief laufen und man eigentlich nichts dagegen tun kann? Eben. Und die Fans der Nation lösen dieses Problem ganz einfach. Sie verdrängen ihre eigene Ohnmacht und fühlen sich stark als Teil des großen Ganzen.

Sich zu einer Nation zugehörig zu fühlen, hilft den Leuten also in einer schlecht eingerichteten Welt zurechtzukommen. Die Verdrängung und die falsche Erklärung unserer Gesellschaft, die dafür notwendig sind, passieren dabei nicht vorsätzlich sondern unbewusst.

Zu dem emotionalen Gewinn, den es bringt sich als Teil einer Nation zu fühlen, kommt aber noch etwas dazu: Der Anspruch auf besondere Rechte nämlich. Da geht es dann um ganz praktische Vorteile. Wer schreit „Die Ausländer nehmen uns die Jobs weg!“, sagt gleichzeitig „Ich bin Österreicher, mir gebührt dieser Arbeitsplatz mehr!“. Ob bewusst oder unbewusst, über nationale Zugehörigkeit, verschaffen sich Menschen einen Vorsprung im täglichen Wettbewerb.

Die Liebe zur Nation ist dabei niemals zu haben ohne den Ausschluss des „Fremden“ und der „Anderen“. Schließlich muss die Nation als exklusive Gemeinschaft gedacht werden, um ihren Reiz zu bewahren. Wenn mitmachen könnte wer wollte, würden zentrale Bestandteile des Nationalismus nicht mehr funktionieren. Selbstaufwertung und Rechtsanspruch aufgrund nationaler Zugehörigkeit funktionieren nur, wenn an der Nation nicht alle teilhaben können.

…und weg damit!

Kapital und Staat führen also zu einer Menge Unglück. Und die Nation trägt ihren Teil dazu bei, dass die Leute dieses Unglück hinnehmen. Dabei wäre seine Abschaffung angesagt. Das ist leider leichter gesagt als getan. Schließlich würde das bedeuten, unsere Gesellschaft von Grund auf zu ändern. Einfach eine andere Partei zu wählen oder ein paar Euro zu spenden reicht da leider nicht. Davon lassen wir uns aber nicht entmutigen. Wir wollen trotzdem probieren, alles anders zu machen. Gerade weil es uns sinnvoll erscheint, die Probleme an der Wurzel zu packen. Denn erst in einer Gesellschaft, in der Eigentum, Konkurrenz und Wertverwertung der Vergangenheit angehören, wird das schöne Leben für alle möglich sein.

Erst wenn der gesellschaftliche Reichtum, also Häuser, Fabriken, Verkehrsmittel usw., schlicht zur bestmöglichen Befriedigung unserer Bedürfnisse eingesetzt wird, kann ein selbstbestimmtes Leben, ohne äußere Zwänge Wirklichkeit werden. Das wäre tatsächliche Freiheit, jenseits von wirtschaftlichen und staatlichen Beschränkungen.

Mehr:

“Die Misere hat System: Kapitalismus”
Herausgegeben von Gruppen gegen Kapital und Nation.

Kritik der Nation
Ein Vortrag von Thorsten Mense.