„Ohne sicheren Aufenthaltstitel ist psychische Genesung schwierig.“ (Ausgabe #8)

Hemayat ist ein Zentrum zur Betreuung von Folter- und Kriegsüberlebenden. Im Interview spricht Gründerin Barbara Preitler über die therapeutische Unterstützung traumatisierter Flüchtlinge in Österreich.

– by Judith Godiva

Porträtfoto von Dr. Barbara Preitler

Judith: Barbara Preitler, Sie waren an der Gründung von Hemayat beteiligt. Können Sie mir erzählen, wie es dazu gekommen ist?

Barbara: Hemayat wurde Anfang der Neunzigerjahre von mir und zwei Kolleg_innen gegründet. Damals flüchteten viele Menschen vor den Balkankriegen nach Österreich und wir erkannten die Notwendigkeit, diesen Menschen psychologische Unterstützung anzubieten. Wir haben mit einem sehr kleinen Budget angefangen und konnten neben unseren regulären Vierzigstundenjobs auch nur sehr wenige Klient_innen sehen. Heute können wir wesentlich mehr Menschen Hilfe bieten. Im Jahr 2019 haben wir 1309 Klient_innen aus 47 verschiedenen Herkunftsländern betreut.

Judith: Sie begleiten Menschen auch während des Asylverfahrens. Welche Erfahrungen machen ihre Klient_innen vor Gericht?

Barbara: Das Gericht muss das Vorbringen des Asylsuchenden prüfen und feststellen, ob der geflüchteten Person in ihrem Herkunftsland Verfolgung droht. Da im Asylverfahren die Einvernahme der Antragsteller_in einen der wichtigsten Beweise darstellt, versucht das Gericht, festzustellen, ob das Gesagte glaubwürdig ist. Aus psychotherapeutischer Sicht ist es nachvollziehbar, dass Folter- oder Kriegsüberlebende nicht alles, was ihnen angetan wurde, sofort in ihrer Befragung erzählen. In vielen Fällen erzählen sie erst im weiteren Verlauf ihres Verfahrens mehr darüber, was ihnen widerfahren ist oder aber sie sprechen nie zur Gänze darüber. Das wissen wir aus unserer langjährigen Erfahrung. Da spielt Misstrauen gegenüber der Behörde genauso eine Rolle wie psychische Schutzmechanismen der Betroffenen. So wissen wir, dass Vermeidungsverhalten häufig bei Folterüberlebenden auftritt und ein Symptom von Traumaerkrankungen ist. Wenn eine Person jedoch erst spät in ihrem Verfahren von Folter erzählt, dann wirft das Gericht dieser Person ein „gesteigertes Vorbringen“ vor und bewertet die Aussagen als unglaubwürdig. Wir sehen also, dass das Gericht oft nicht richtig geschult ist, um das Verhalten von traumatisierten Personen auch als solches erkennen zu können. Hemayat setzt sich dafür ein, dass Richter_innen hierfür sensibilisiert werden. Besonders für die richtige Gesprächsführung und die Erkennung von Gewaltüberlebenden sollte es verpflichtende Schulungen geben.

Judith: Wie wirkt sich die Länge des Asylverfahrens auf die psychische Gesundheit ihrer Klient_innen aus?

Barbara: Viele unserer Klient_innen sind nach wie vor in einer sehr belastenden Situation. Oft lautet die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung. Dieses Wort beschreibt psychisches Leiden, das aus einem in der Vergangenheit liegenden Trauma resultiert. In vielen Fällen ist die traumatische Situation aber noch gar nicht abgeschlossen. Entweder, weil die Betroffenen nach wie vor Familie in ihrem Herkunftsland haben, oder aber auch, weil sie selbst noch keinen sicheren Aufenthaltstitel in Österreich haben. Solange die Möglichkeit besteht, abgeschoben zu werden und somit wieder in dieselbe Lage zu kommen, vor der sie geflüchtet sind, ist es schwierig, die erlittenen psychischen Verletzungen zu heilen. 

Judith: Was sollte anders laufen oder wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?

Barbara: Unter anderem ist uns enorm wichtig zu betonen, dass die Verantwortung, im Asylverfahren psychische Verletzungen nachzuweisen, nicht alleine bei den Asylsuchenden liegen sollte. Das Gericht hat eine Ermittlungspflicht und die sollte auch die psychische Verfassung der Asylsuchenden betreffen. Betroffene wissen beispielsweise nicht immer, dass sie traumatisiert sind oder können es nicht artikulieren. Und leider wird allzu häufig das Fehlen einer psychologischen Behandlung vor Gericht als Indiz gewertet, dass keine psychische Krankheit vorliegt oder diese nicht so schlimm sein kann. Dass eine Person aber nicht in Behandlung ist, kann auch an ganz anderen Gründen, zum Beispiel an fehlenden Therapieplätzen, liegen.

Judith: Wie sieht es denn mit dem Zugang zu Therapieplätzen aus?

Barbara: In den Antifolterkonvention der Vereinten Nationen ist auch das Recht auf Rehabilitation festgeschrieben. Mit der Grundversorgung ist der Zugang zum Gesundheitssystem für Menschen im Asylverfahren grundsätzlich gegeben. Real bleibt eine Behandlung aber schwierig, wie auch für andere Personen in Österreich, die psychotherapeutische Unterstützung in Anspruch nehmen wollen. Fehlende Therapieplätze sind ein Grund dafür. Ein anderer Grund für den erschwerten Zugang ist, dass in unserer Gesellschaft psychische Gesundheit nicht den gleichen Stellenwert hat wie physische Gesundheit. 

Judith: Frau Preitler, vielen Dank für Ihre Zeit!

Dr. Barbara Preitler ist Psychologin, Psychotherapeutin und Mitgründerin von Hemayat, einem Zentrum für die medizinische, psychologische und psychotherapeutische Betreuung von Folter- und Kriegsüberlebenden in Wien.

Zum Weiterlesen:

An ihrer Seite sein“: Ein praxisorientiertes Handbuch zum Thema psychosoziale Betreuung von traumatisierten Flüchtlingen, verfasst von Barbara Preitler.