Über die Lobau-Bewegung, das Leben im Camp und die Klimakrise in Österreich haben wir mit Omid, einem Aktivisten von Lobau Bleibt!, gesprochen. Seit Beginn ist Omid Teil der Bewegung und lebt im Protestcamp.
– von Josefine Hüttisch
Josefine: Hallo und vielen Dank, dass du dir heute die Zeit genommen hast. Könntest du dich und die Bewegung einmal kurz vorstellen?
Omid: Ich nenne mich hier Omid. Seit Beginn der Corona-Pandemie mache ich politische Arbeit. Am Anfang war ich bei Fridays for Future (FFF) Graz aktiv, bis im Sommer 2021 das Lobau-Thema in allen Klimabewegungen in Österreich und vor allem in Wien immer präsenter wurde. Inspiriert durch die Besetzungen in Deutschland im Hambacher Forst und durch EndeGelände kam die Idee auf, das auch hier zu machen und so den lokalen Kampf gegen fossile Großprojekte, wie die Lobau-Autobahn, aufzunehmen. Der Protest hat angefangen mit Blockaden von Extinction Rebellion. Vor allem haben wir Baustellenzufahrten blockiert, direkt an der Anschlussstelle zur Süd-Ost-Tangente. Dann Ende August 2021 haben sich Menschen von verschiedensten Umweltbewegungen in sogenannten Bezugsgruppen zusammengetan und das Lobau-Camp aufgebaut; unter anderem von FFF, Umweltrat, System Change und auch viele Personen, die bei keiner Organisation aktiv sind. Seitdem bin auch ich dabei. Vor allem bin ich für die Infrastruktur und den Aufbau zuständig. Ich sorge dafür, dass wir Strom, Wasser und Material haben, damit die Aktivist_innen eine Basis haben. Von dieser aus können dann Besetzungen und Aktionen geplant werden. Am Anfang war ich noch bei Extinction Rebellion, aber da ich mich hauptsächlich um das Camp gekümmert habe, bin ich mittlerweile autonom in der Lobau Bleibt!-Bewegung. Wir sind eine gemeinsame Bewegung. Wir wollen gemeinsam kämpfen, damit die Politik endlich in Gang kommt und wir die Klimaziele erreichen können.
Josefine: Weil du jetzt gerade schon die verschiedenen Gruppen angesprochen hast: Wie funktioniert die Zusammenarbeit innerhalb des Camps? Wie stellt ihr sicher, dass ihr bei euch im Camp gleichberechtigtes Zusammenleben schafft?
Omid: Gemeinsame Treffen sind essentiell, aber die Konzentration liegt auf dem Grätzlkonsens und friedvollen Auseinandersetzungen. Der Grätzlkonsens umfasst ein paar Grundsätze, die zu Beginn des Camps zusammengetragen wurden. Die Abstimmung mit allen ist trotzdem schwierig, weil wir uns gleichzeitig auf Proteste und andere Dinge konzentrieren müssen. Es gibt regelmäßige Strategie-Plena, die von den verschiedenen Gruppen organisiert werden. Die Schwierigkeit dabei ist, dass nicht immer alle Leute Zeit haben, weil sie auf Besetzungen oder mit der Organisation von anderen Aktionen beschäftigt sind. Die Menschen mit der meisten Verantwortung müssen sich auch noch um regelmäßigen Austausch kümmern, weshalb manchmal etwas auf der Strecke bleibt. Deshalb ist es wichtig, vieles gleich anzusprechen und zu klären und sich die Verantwortungen gut untereinander aufzuteilen. Aber es ist tatsächlich eine Herausforderung, das zu organisieren und umzusetzen.
Josefine: Um mal auf die weltweiten Ziele zu sprechen zu kommen: Gerade kam ein neuer Bericht des Weltklimarates heraus. In diesem wird deutlich dargestellt, dass es nur einen sehr begrenzten Zeitraum für uns gibt, um noch etwas zu verändern. Es wird bezweifelt, dass das 1,5-Grad- oder 2-Grad-Ziel noch erreichbar ist. Wie verlierst du bei solchen Prognosen nicht die Hoffnung?ie erlebt ihr den Stellenwert von Obdachlosen in der Gesellschaft? Mit welchen Vorurteilen habt ihreuch herumschlagen müssen?
Omid: Mir geht es vor allem darum zu versuchen, noch irgendetwas zu machen. Aber wenn ich im Camp bin und sehe, wie direkt neben mir gebaut wird und wichtige Böden zerstört und versiegelt werden für eine sinnlose Autobahn, dann fällt es mir schon schwer, Hoffnung zu haben. Wir versuchen alles und werden dann dafür beschimpft, verklagt, eingesperrt und als Verschwörungstheoretiker_innen dargestellt. Das ist schon hart, aber umso wichtiger ist der Zusammenhalt untereinander und dass wir uns gegenseitig aufbauen, gemeinsam dagegen stehen und weitermachen.
Josefine: Viele Personen sagen, sie wissen gar nicht, wo sie anfangen können, weil ein Individuum keinen Unterschied macht. Was antwortest du darauf? Was rätst du Individuen, die aktiv werden möchten und sich aus ihrer Ohnmacht herausheben wollen?
Omid: Also ganz wichtig finde ich, zwischen dem individuellen Konsum und der Verantwortung des Wirtschaftssystems, das dahintersteht, zu unterscheiden. Diese ‚DU darfst das nicht!‘-Haltung bringt nichts. Die Verantwortung auf die Individuen abzuladen, darum geht es nicht. Ohne politische Weichenstellung und wirtschaftliche Anpassung gibt es bei der Mehrheit der Gesellschaft keine Veränderung im Konsumverhalten. Aber was unsere Bewegung zeigt, ist: Wir sind hier nicht viele und wir waren trotzdem sehr erfolgreich. Jede Person, die aktiv wird, kann einen wahnsinnigen Unterschied machen. Und es ist klar, dass nicht jede Person die Zeit und Möglichkeiten hat, in diesem Maße aktiv zu werden. Nicht jede Person ist bereit, die Aggressionen und Beschimpfungen in Kauf zu nehmen. Aber es gibt verschiedenste Möglichkeiten sich zu engagieren und jede_r kann einen Unterschied machen. Gestern habe ich ein schönes Zitat gelesen von Scientists For Future: „The best way to help a climate activist is to become one yourself.“
Josefine: Was müsste in Österreich umgesetzt werden, über die Absage des Stadtautobahnprojektes hinaus, um aktiv gegen den Klimawandel vorzugehen?
Omid: Uns Also ich glaube, dass sich die Personen des Lobau-Camps einig sind, dass wir unsere Demokratie weiterentwickeln müssen. Ein Beispiel für eine solche Umgestaltung wären Bürger_innenräte. Wir sollten die Macht nicht einzelnen, leicht beeinflussbaren Personen geben, sondern Räte einführen. Auf Gemeinde-, Landes-, und Staatsebene können diese gemeinsam Lösungen finden und Entscheidungen treffen. Eine repräsentative Gruppe an Bürger_innen sollte in den Räten aktiv mitgestalten und eine klare Zielvorstellung formulieren, wie unsere Klimaherausforderungen bekämpft werden sollen. Für diese Zielvorstellung können dann auf Basis wissenschaftlicher Fakten Lösungsansätze entwickelt werden. Dadurch wird sichtbar, dass es konkrete Forderungen und Zielsetzungen gibt. Der Klimarat der Bürger_innen, der jetzt auch tagt, könnte die Umsetzung solcher Schritte einleiten. Es könnten klare Maßnahmen entwickelt werden und es würde die Möglichkeit gegeben mitzubestimmen. Mal schauen, was jetzt beim Klimarat konkret entschieden und dann auch umgesetzt wird. Das ist jetzt sehr weit gegriffen und ich kann nicht genau sagen, wie man den Staat dafür umbauen sollte, aber das ist die Richtung, in die es, denke ich, weitergehen sollte. Wie vorhin schon erwähnt, sehe ich die politische Weichenstellung als essentiell, um wirtschaftliche und soziale Veränderungen herbeizuführen.
Josefine: Vor ein paar Monaten hat die österreichische Umweltministerin Leonore Gewessler das Projekt Lobau-Tunnel gestoppt und eine erneute Evaluierung angeordnet. Die Stadt Wien und der Bürgermeister Michael Ludwig waren von diesem Schritt empört. Was erhoffst du dir aus diesem Schritt und siehst du diesen Stopp als Gewinn der Aktivist_innen?
Omid: Es ist auf jeden Fall ein Gewinn. Das Problem ist, dass die Lobauautobahn mehr oder weniger im Straßenbaugesetz steht. Die Umweltministerin steht außerdem nicht über den Gesetzen. Sie kann die nicht einfach aushebeln, das wäre auch problematisch. Deshalb war es sowieso schon sehr mutig, dass sie das Projekt gestoppt und es aus dem Programm der ASFINAG herausgenommen hat. Doch manches steht auch in der Verantwortung der Stadt Wien. Nun soll aber vorerst nur ein Teil des großen Straßenbauprojekts gebaut werden. Es macht aber keinen Sinn, nur einen Teil der Straße zu bauen. Man sieht es in den Plänen: Die Stadtautobahn endet mitten am Feld, komplett wahllos.
Die Stadt Wien baut jetzt den Teil der Stadtautobahn fertig, bei dem die Kompetenzen bei der Stadt liegen. So hat sie bessere Argumente, um den Rest auch noch zu bauen. Deshalb sehe ich den Stopp als sehr wacklig. Aber Gewessler hat jetzt die Evaluierung des Projekts angeordnet und hat gemacht, was in ihrem Rahmen möglich ist. Aber davon hängt es nicht komplett ab. In Zukunftspakten, die Michael Ludwig mit der Wirtschaftsagentur neu abschließt, steht der Lobautunnel immer noch drin. Es gibt viele Stimmen, die sagen, dass sobald die Grünen aus der Regierung sind, der Lobautunnel auch wieder auf dem Plan ist.
Josefine: Vor Kurzem wurde das Camp auch wieder geräumt. Was ist das für eine Botschaft an euch?
Wir müssen auf der Hut sein. Es wurde jetzt eine Sperraktion von uns geräumt, mit der wir darauf aufmerksam machen wollten, dass schon fleißig gebaut wird. Bei der Aktion wurden auch wieder mehrere Aktivist_innen mitgenommen und 24 Stunden von der Polizei festgehalten. Sie hat zwar wieder alle gehen gelassen, aber an der anderen Baustelle rechnen wir jederzeit mit einer Räumung. Das Thema ist sehr präsent. Es wird zu einer ständigen Bedrohung, wenn man jeden Tag davon ausgehen muss, dass die Polizei das eigene Zuhause stürmen wird, mit ständiger Angst und Bedrohung. Und jetzt wird sich darauf vorbereitet, die Räumung möglichst schwierig zu machen und Zeit zu gewinnen. So können wir noch mehr Menschen mobilisieren und nochmal richtig aufzeigen, dass die Klimaziele, die sich die Stadt Wien gesetzt hat, im Moment unerreichbar sind.
Wir fordern, dass sie sich an ihre Ziele halten, die sie sich selbst gesteckt haben. Das Tragische ist eigentlich, dass sie sich nicht an diese halten.
Josefine: Vielen Dank für das Gespräch und die wichtigen Insights. Weiterhin viel Erfolg!
Zum Weiterlesen:
Lobau bleibt! – Hintergründe und aktuelle Infos zur Bewegung findet ihr online unter lobaubleibt.at.
Hambi bleibt! – Die seit 2012 bestehende Besetzung in Nordrhein-Westfalen ist Vorbild für die Lobau-Bewegung. Mehr unter: hambacherforst.org