Wien hat Fieber (Ausgabe #11)

Erdbeereis schleckend im Schanigarten chillen: Der Sommer kann so leicht sein. Jedenfalls für die, die es sich leisten können. Für marginalisierte Menschen hingegen ist er lebensbedrohlich.

– von Caroline Schmüser

Der Klimawandel ist bereits in vollem Gange. Die Temperaturen steigen,heiße Tage nehmen zu und vor allem in Städten leiden Bewohner_innen bereits jetzt unter extremen Hitzeperioden. Denn die dichte Bebauung verhindert eine natürliche Wärmeregulation: Hohe Gebäude und asphaltierte Straßen schlucken das Sonnenlicht und erhöhen die Temperatur ihrer Umgebung. „Städtische Wärmeinseln“ heißen solche Hitze-Hotspots auch. Autos, Industrie und Klimaanlagen, die ihre Abwärme ins Freie blasen, verstärken das Phänomen.

»Ob 24 Bäume und vier Nebelduschen auf einem Kilometer Länge tatsächlich eine „enorme Aufenthaltsqualität“ bedeuten, wird sich noch herausstellen.«

WAS TUT DIE STADT WIEN GEGEN HITZE?

Auch Wien ist stark von Hitze betroffen, mit fatalen Folgen für die Gesundheit der Bewohner_innen: Von 2016 bis 2020 starben im Durchschnitt 225 Menschen in Österreich aufgrund von Hitzewellen, ein Drittel davon in Wien. Es ist vor allem die Stadtplanung, die hier Abhilfe schaffen kann. Darum fördert die Stadt Wien mit rund 20 Millionen Euro im Jahr Klimaprojekte. Maßnahmen sind etwa Wasserspender und Nebelduschen, die feine Wassertropfen versprühen. Aber auch Parks mit schattenspendenden Bäumen, Pflanzen an Häuserfassaden, der Bau von Brunnen sowie mehr öffentliche Badeplätze sollen für Abkühlung sorgen.

»Klimapolitik muss sozial gedacht werden. Ein Fakt, den die Regierende und Gesetzgebende gerne ignorieren.«

Als Paradebeispiel gilt Wiens erste klimaangepasste Straße: die Zieglergasse im 7. Bezirk. Ob 24 neu gepflanzte Bäume und vier Nebelduschen auf einem Kilometer Länge tatsächlich eine „enorme Aufenthaltsqualität“ bedeuten, wie es die Stadt Wien verspricht, wird sich noch herausstellen. So oder so zeigen bisher getroffene Maßnahmen für Personen, die besonders von den Folgen anhaltender Hitzeperioden betroffen sind, wenig Wirkung.

WER LEIDET BESONDERS UNTER HITZE?

Dazu zählen etwa alte Menschen oder Kranke, deren Körper Schwierigkeiten mit der Temperaturregulierung haben, oder die an Herz- und Atemwegserkrankungen leiden. Mängel im Gesundheitssystem verstärken das Problem: Krankenhäuser und Praxen sind auf die vielen Patient_innen an Hitzetagen oft nicht vorbereitet. Auch von Armut betroffene Bevölkerungsgruppen leiden überproportional stark an den Folgen von Hitze. Sie arbeiten öfter in körperlich anstrengenden Berufen oder im Freien, etwa als Bauarbeiter_innen. Das Bahnticket für den Ausflug an die Donau können sie sich nicht leisten, geschweige denn den Strandurlaub unter Palmen. Ihre Wohnungen sind wegen der schlechten Wärmedämmung im Sommer unerträglich heiß und sie leben häufiger an stark befahrenen Straßen. Während der Hitzewelle im Jahr 2003 starben in Wien vor allem Bewohner_innen einkommensschwacher Bezirke wie Margareten, Favoriten oder Ottakring.

»Wie in allen Krisen ist auch bei Hitze Gemeinschaft und Solidarität gefragt. In Ländern wie den USA oder Japan gibt es solche Modelle bereits.«

Hier spielt mehrfache Marginalisierung eine wichtige Rolle: Denn aufgrund von strukturellem und institutionalisiertem Rassismus sind Migrant_innen oder migrantisierte Personen häufiger von Armut betroffen, leiden unter schlechten Wohnbedingungen und Bildungsungleichheiten – ein Nachteil in Hitzeperioden. Wegen geringer Deutschkenntnisse suchen sie außerdem weniger oft Ärzt_innen auf. Zudem sind Informationen über Gesundheitsrisiken an Hitzetagen – wie die App Cooles Wien oder die Broschüre Wiener Hitzeratgeber – nur auf Deutsch verfügbar. Der Blick auf besonders vulnerable Gruppen zeigt: Auch Klimapolitik muss sozial gedacht werden. Ein Fakt, den Regierende und Gesetzgebende gerne ignorieren. Doch wie kann eine klimasoziale Politik aussehen?

WAS WIR MIT KLIMASOZIALER POLITIK ERREICHEN KÖNNEN

Klassische Maßnahmen wie Begrünung und ein besseres Wassermanagement in den Grätzeln muss die Stadt Wien ausweiten, speziell in einkommensschwachen Bezirken. Eine Idee ist auch die Öffnung von öffentlichen, klimatisierten Gemeinschaftsräumen. Möglich wäre das in leerstehenden Räumen in Gemeindebauten oder durch die Nutzung von Innenhöfen. Infomaterialien müssen auf vielen Sprachen verfügbar sein und an Orten verteilt werden, an denen sich Betroffene aufhalten, wie kulturelle Vereine oder soziale Einrichtungen.

Ebenfalls nötig ist eine Verkehrswende: Weniger Autos in der Stadt, mehr Radwege und Flaniermeilen sowie ein günstiges Öffi-Ticket kommen besonders marginalisierten Bewohner_innen zugute. Gibt es weniger Autoverkehr, ist mehr Platz für Begrünung, vor allem an Hauptverkehrsadern, wo eher sozioökonomisch Benachteiligte leben. 

Wie in allen Krisen ist auch bei Hitze Gemeinschaft und Solidarität gefragt. In Ländern wie den USA oder Japan gibt es solche Modelle bereits, zum Beispiel durch „Buddy-Systeme“ oder Freiwilligeneinsätze, bei denen Helfer_innen vulnerable Personen Zuhause besuchen und sogar Ausflüge organisieren. In Wien-Meidling macht das Projekt Bleib‘ cool, Ignaz! einen Anfang: Mitarbeiter_innen der Stadt suchen hier das direkte Gespräch mit Bewohner_innen. Die Politik muss in Zukunft mehr solcher Angebote fördern – damit der Sommer für alle erträglich wird.

Zum Weiterlesen:

Bleib‘ cool, Ignaz! – Das Projekt der Gebietsbetreuungen Stadterneuerung (GB*) teilt mit Bewohner_innen der Ignazgasse in Meidling Tipps zum Schutz vor Hitze. https://www.gbstern.at/themen-projekte/bleib-cool-ignaz/

EthniCityHeat – Die Studie aus dem Jahr 2018 befasst sich mit den Erfahrungen von Wiener Migrant_innen in Hitzeperioden und liefert Lösungsvorschläge für Politik und Gesellschaft. https://www.klimafonds.gv.at