In seinem 2009 erschienen autobiografischen Essay „Rückkehr nach Reims” erzählt Didier Eribon von seiner Zerrissenheit zwischen verschiedenen sozialen Welten.
– by Lucas Weber
Nach dem Gymnasium zieht Eribon aus dem kommunistischen Elternhaus nach Paris, um dort Philosophie zu studieren und seine Homosexualität in der Großstadt auszuleben. Mit dem Umzug beginnt er, seine soziale Herkunft zu verleugnen und die Verhaltensweisen der gehobenen Klassen zu übernehmen. Eribon wendet sich von seiner Familie ab und kehrt erst nach dem Tod seines homophoben Vaters nach Reims zurück. Dort merkt er, dass nicht nur er sich von seiner Herkunft distanziert hat.
Herkunft
Eribons Vater ist Fabrikarbeiter, die Mutter putzt die Wohnungen reicher Leute. Die Eltern wählen kommunistisch, aber denken in weiten Teilen rechts. In dieser Umgebung verdrängt Eribon seine Homosexualität, bis er beginnt, sie an geheimen öffentlichen Orten – in ständiger Angst erwischt zu werden – auszuleben.
Eribon geht ins Gymnasium, liest viel und möchte auf die Universität. Mit dieser Ausbildung beginnt er, sich von seiner Arbeiter_innenfamilie abzugrenzen. In Paris freundet er sich mit Menschen aus den oberen Schichten der Gesellschaft an und schämt sich immer mehr für seine Herkunft. Durch sein Studium lernt er linke Gruppen kennen und liest Theorien von Marx, Trotzki, Beauvoir und Bourdieu. Die Klasse, der er entstammt, beginnt er nun zu studieren. Eribon träumt von der Revolution der Arbeitenden, aber möchte in Paris nicht mit seinem Großvater, einem Fensterputzer, gesehen werden.
Rückkehr
Nachdem Eribons Vater stirbt, kehrt er erstmals nach Reims zurück. Dort wird ihm bewusst, wie sehr er sich von seiner Familie distanziert hat. Seine Mutter versteht die Wörter, die er benutzt, nicht und kann mit seinen Büchern nichts anfangen. Aber auch sein Herkunftsmilieu hat sich verändert. Früher galt der Front National als Klassenfeind und wurde zuhause vor dem Fernseher beschimpft. Heute wählt seine Familie die rechtsextreme anstatt der kommunistischen Partei. Wir, die Franzosen, gegen die Ausländer – statt – wir, die Ausgebeuteten, gegen die Herrschenden.
Anhand seiner eigenen Geschichte versucht Eribon als Soziologe den Aufstieg der Rechten durch das Versagen der Linken zu erklären. Einerseits kritisiert er die Romantisierung der Arbeiter_innenklasse. Schon früher waren rechtsextreme Einstellungen bei Arbeitenden weit verbreitet. Damals haben viele trotz ihres Rassismus links gewählt und heute wird entgegen dem eigenen sozialen Interesse rechts gewählt. Andererseits hat sich die Linke, laut Eribon, von den Problemen, Lebensrealitäten und Wünschen der Arbeitenden distanziert. Die Fehler der kommunistischen Partei macht er in ihrer Treue zur Sowjetunion und der Ignoranz gegenüber den Forderungen der 68er aus. Eribon bleibt aber optimistisch und sieht die Linke nicht auf verlorenem Posten. Er ist überzeugt, dass sie all jene, die heute rechts wählen, wieder zurückgewinnen kann.
Rückkehr nach Reims (2016)
Autor: Didier Eribon
Verlag: Suhrkamp
Taschenbuch: 240 Seiten
ISBN 9783518072523