Bio! Logisch? Es gibt nur zwei Ideale, aber tausende Körper (Ausgabe #2)

Jeder Körper ist offensichtlich anders, aber trotzdemwerden sie in zwei Kategorien eingeteilt. Jeder Mensch verhält sich anders, aber trotzdem gibt es scheinbar nur zwei Arten von Menschen. Was wir kritisieren wollen, ist die Einteilung in männlich und weiblich.

by UNTER PALMEN

Sie ist eine Frau*, er ist ein Mann*. In einer Welt, in der ganz klar in zwei Geschlechter getrennt wird, muss das so sein. Begründet wird diese Einteilung mit der Biologie: Männer* und Frauen* sind von Natur aus grundlegend verschieden. Die Annahme von zwei verschiedenen Geschlechtern ist der Grundstein, auf dem die sexistische Gesellschaft aufbaut, denn natürliche Unterschiede können nicht verändert werden. Doch diese sind nicht eindeutig und natürlich, sondern gesellschaftlich gemacht. Frau* ist nicht gleich Frau*, Mann* ist nicht gleich Mann*. Jeder Mensch schaut anders aus. Die Vorstellung, wie Frau* oder Mann* auszusehen und sich zu verhalten hat, ist nicht mehr so streng und klar definiert. Trotzdem gibt es gesellschaftliche Richtlinien, die weitergegeben und gelernt werden und an die sich die meisten auch halten. Daher ist es auch möglich, fremde Menschen sehr schnell einem Geschlecht zuzuordnen. Doch das hat nichts mit Biologie zu tun, sondern mit erlernten Wahrnehmungsweisen.

Du wirst sicher Argumente für die Existenz der Zweigeschlechtlichkeit kennen. Oft werden zum einen die unterschiedlichen Geschlechtsorgane genannt, zum anderen Extrembeispiele aus dem Leistungssport. Bei letzteren werden die besseren Ergebnisse in manchen Sportarten als Beweis für die körperliche Überlegenheit von Männern* gegenüber Frauen* gesehen. Das funktioniert aber nur, weil viele Einflüsse nicht genannt werden: Training, Erziehung, moralische Unterstützung und sozialer Status. All diese Faktoren beschreiben den Einfluss der Gesellschaft und der Lebensumstände auf den Körper. In unserer Gesellschaft werden Frauen* und Männer* sehr unterschiedlich gesehen und behandelt. Das muss sich daher auch auf die Körper auswirken. Wir können also nicht sagen, dass Frauen* von Natur aus schwächer als Männer* sind, weil die Gesellschaft immer ihre Spuren hinterlässt. Außerdem gibt es innerhalb der Kategorien von Frau* und Mann* große Unterschiede, die ausgedachten Höchstleister_innen sind nur ein winziger Teil davon. Welches Geschlechtsteil man in der Hose hat, scheint aber trotzdem extrem wichtig zu sein, obwohl das Geschlechtsorgan in keiner uns bekannten Sportart zum Einsatz kommt.

Dann die Sache mit Penis und Vulva: Deren Existenz kann nicht geleugnet werden. In manchen Fällen, zum Beispiel bei der Verhütung, ist eine Unterscheidung auch wichtig. Aber Geschlechtsorgane sagen eigentlich nur sehr wenig über einen Menschen aus. Der extreme Fokus darauf ist gesellschaftlich bedingt. Diese Körperteile schauen auch bei jedem Menschen anders aus und funktionieren unterschiedlich. Genauso, wie es nicht deutlich ausgeprägte Geschlechtsorgane gibt, gibt es auch Menschen, die beides haben. Zusätzlich eröffnet uns die Medizin theoretisch viele Möglichkeiten, unsere Körper zu verändern. Doch in einer sexistischen Gesellschaft müssen alle eindeutig einem Geschlecht zugeordnet sein und daher spielen Geschlechtsorgane so eine große Rolle. Entspricht etwas nicht der Norm, wird es als krank und unnatürlich bezeichnet und mit Zwang angepasst.
Außerdem müssen wir die wissenschaftlichen Erkenntnisse in diesem Gebiet hinterfragen. Medizin und Forschung haben in Studien Männer* und Frauen* untersucht und sind auf Verschiedenheiten gestoßen. Aber dabei wurden die Kategorien Mann* und Frau* nicht hinterfragt, daher konnten auch nur zwei Geschlechter das Ergebnis sein. Diese Unterschiede wurden als natürlich festgelegt und der Einfluss der Gesellschaft vollkommen ignoriert. Körper nicht mehr männlich oder weiblich zu denken, ist eine riesengroße Herausforderung. Unser gesamtes Leben basiert auf diesem Gegensatz. Von klein auf lernen wir zu unterscheiden und uns einem Geschlecht zugehörig zu fühlen, daher fällt es schwer dagegen anzukämpfen. Doch es lohnt sich! Denn ohne die Einteilung in zwei Geschlechter könnten wir selbstbestimmter leben.

Mehr:

Geschlecht. Wider die Natürlichkeit
Buch von Heinz-Jürgen Voß, erschienen in der Reihe theorie.org.